Logistik: Zwei Fahrer pro Lkw? Das steckt hinter der Idee - WELT

24.08.2021
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welt.de

Von Birger Nicolai Korrespondent 9-11 Minuten


Für einen Mathematiker ist es sicherlich eine Ausnahme, sich in einer Promotion mit dem praxisnahen Thema „Pausenzeiten und zeitkritische Sendungen“ zu befassen. Doch Asvin Goel, heute ein 48-jähriger Professor für Logistik und Supply Chain-Management an der Kühne Logistics University in Hamburg, hat zum Karrierestart genau das getan. Es habe halt zu der Zeit wenige Studien zu Pausenzeiten gegeben, sagt er.

Zuvor hatte Goel, dessen Vater aus Indien und dessen Mutter aus Deutschland stammen, noch Wirtschaftsinformatik studiert. Über Karlsruhe, Göttingen, Leipzig, Halle, Bremen und Saragossa führte ihn sein Weg schließlich nach Norddeutschland an die Privatuniversität der Kühne-Stiftung.

Genau dort hat Goel nun eine für die Tagesarbeit von Speditionen interessante Studie erstellt. Er ist der Frage nachgegangen, ob nicht zwei Lkw-Fahrer auf bestimmten Touren am Ende günstiger sein können als einer. „In vielen Betrieben wird die Möglichkeit, zwei Fahrer auf einem Lkw einzusetzen, ignoriert. Es wird einfach davon ausgegangen, dass es einen Fahrer im Lkw gibt. Dabei kommen für einige Touren durchaus Doppelbesatzungen infrage“, sagt Goel.

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Und genau das kann sich lohnen: Im Speditionsgewerbe sind die Gewinnmargen seit Jahrzehnten niedrig. Ein Gewinn vor Steuern von zwei bis drei Prozent vom Umsatz ist ein typischer Wert. Sollte ein Unternehmen die Betriebskosten auch nur um wenige Prozentpunkte verringern können, hätte das große Auswirkungen auf seine Profitabilität.

Eingebettet ist die Studie, die WELT vorliegt, in ein von Problemen geprägtes Berufsfeld. Der Konkurrenzkampf unter den Speditionen ist hart und intensiv. Große Fuhrunternehmer wie Waberer‘s prägen den Markt mit günstigen Angeboten. Logistikkonzerne wie Schenker, Kühne + Nagel oder die Post-Tochtergesellschaft DHL verfügen kaum über nennenswerte eigene Lkw-Flotten und Fahrer und nutzen den Wettbewerbsmarkt für ihre Aufträge. Schließlich führen die teilweise niedrigen Arbeitslöhne mitsamt der besonderen Arbeitszeiten zu einem ausgeprägten Fahrermangel. Etwa 2500 Euro Bruttomonatslohn sind eine typische Bezahlung, hinzu kommen Tagesspesen.

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Zwischen 45.000 und 60.000 Berufskraftfahrer fehlen derzeit in Deutschland, wie es der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) und der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) gemeinsam berechnet haben. Die Internationale Straßentransportunion (IRU) sagt bis zum Jahr 2027 hierzulande gar einen Mangel von 185.000 Fahrern voraus.

Auf den ersten Blick steht das Problem des Fahrermangels der Idee entgegen, zwei statt eines Fahrers einzusetzen. Dennoch lohnt sich der Blick in die Details der Kostenersparnis für die Betriebe, weil es laut der Studie dabei um nennenswerte Summen geht. Und schließlich kann es für manchen Trucker oder manches Trucker-Paar auch attraktiv sein, zu zweit zu fahren und gemeinsam Lebenszeit zu verbringen.

Fazit der Studie ist, dass es für Speditionsbetriebe deutlich günstiger sein kann, auf einigen Strecken zwei Fahrer einzusetzen. „Nach unserer Einschätzung wäre ein Anteil zwischen zehn und 20 Prozent mit doppelter Besatzung in der Fahrerkabine sinnvoll, um die Kosten zu verringern“, sagt Goel.

Die Kosteneinsparung fällt je nach Beispiel unterschiedlich aus

Zwar lasse sich keine generelle Aussage über das Einsparpotenzial machen. Aber in fast allen überprüften Fällen hätten sich nach den Berechnungen deutliche Verbesserungen im Einsatz von Fahrern und Lkw ergeben. Als weitere Autoren haben Professor Thibaut Vidal von der Ingenieurs-Hochschule EPM in Montréal sowie Adrianus Leendert Kok, Chefentwickler des niederländischen Software-Unternehmens Ortec, an der Untersuchung mitgearbeitet.

Die Kosteneinsparung fällt je nach Beispiel unterschiedlich aus. Verglichen wurden die Kosten innerhalb einer Arbeitswoche. „Die Einsparungen bei einer Doppelbesatzung sind in unseren Experimenten im Durchschnitt zwischen ein Prozent und sieben Prozent des Aufwands für den Arbeitslohn und den Lkw“, sagt Goel.

Im ersten Beispiel geht es um einen Pendelverkehr zwischen Berlin und München. Ein Fahrer auf dieser Tour muss nach viereinhalb Stunden eine längere Pause einlegen und nach neun Stunden aus dem Lkw aussteigen und Feierabend machen. Zwei Fahrer dagegen können sich ablösen und die Strecke komplett fahren – sie brauchen keine Nacht dazwischen zu legen. Sie wären nachts zurück am Ausgangspunkt. Vorausgesetzt wird stets die eingehaltene Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde. Bei den Lohnkosten macht dieser Fall zwar keinen Unterschied, beim Aufwand für den Lkw dagegen schon: Schließlich wird das Fahrzeug gleich am nächsten Tag erneut eingesetzt und verdient Geld.

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Die Arbeitszeit ist gleich, aber das Fahrzeug wird nur für einen Tag benötigt. Bei Mietkosten für den Lkw von 100 Euro am Tag, wie sie in der Studie angesetzt sind, ergibt sich ebendiese Summe an Einsparung bei der Doppelbesatzung auf der Strecke. „Zudem sind beide Fahrer am Ende des langen Arbeitstages wieder zu Hause, was auch ein Vorteil ist, selbst wenn er sich nicht mit Geld beziffern lässt“, sagt Goel. Der Arbeitsalltag könne dadurch angenehmer werden.

Das andere Beispiel betrifft einen sogenannten Dreiecksverkehr, bei dem ein Lkw etwa für einen Containertransport von Berlin nach Bremerhaven und am selben Tag ein weiterer Lkw für einen Containertransport von Hamburg nach Berlin benötigt wird. Soll der Transportauftrag an einem Tag ausgeführt werden, benötigt der Spediteur eine Doppelbesatzung. Die Kostenersparnis ist überproportional groß. „Arbeitskosten und Fahrzeugkosten können in dem Fall um die Hälfte niedriger ausfallen“, sagt Goel.

Die Wissenschaftler haben einen Algorithmus entwickelt, der aus allen vorhandenen Touren einer Spedition diejenigen heraussucht, die sich für eine Doppelbesatzung anbieten. Das können fünf Strecken sein, die sich derart zusammenlegen lassen, dass eine Besatzung mit zwei Fahrern günstiger ist, als es bei den fünf verschiedenen Fahrten zu belassen.

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Immer noch ist das händische Planen im Transportgewerbe weitverbreitet. „Unsere Erkenntnisse können die Realität in den Speditionen verändern“, sagt Goel. Der Einsatz von Algorithmen ist bestenfalls bei den Paketdiensten schon Alltag, um optimale Touren zu errechnen. Allerdings besteht die Herausforderung darin, besser zu sein als ein erfahrener Spediteur.

„Im praktischen Einsatz gelingt dies nicht immer, da Disponenten in der Regel über mehr Informationen verfügen und Freiheitsgrade ausnutzen können, die dem Algorithmus nicht zur Verfügung stehen“, sagt Goel. Dennoch müsse die Speditionsbranche die Möglichkeiten zur Digitalisierung in diesem Bereich sinnvoll nutzen, um die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Nicht im Regelfall, aber sehr wohl im Einzelfall ließen sich durch Doppelbesatzungen deutliche Kostenvorteile erzielen.

Konkrete Antworten von Speditionsbetrieben auf diese Erkenntnisse und Daten gibt es noch nicht, da die Studie erst veröffentlicht wird. Doch vonseiten der Branchenverbände kommt eine erste Einschätzung. „Derartige Modelle, die unter definierten Rahmenbedingungen kalkulieren, sind nicht grundlegend neu“, sagt Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des DSLV.

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Diese Möglichkeiten würden von Unternehmen der Transportbranche vor allem für den industrialisierten Einsatz von Lkw-Flotten auf nationalen Relationen auch immer wieder getestet. „Bei mehrtägigen und internationalen Touren, bei denen die maximale Tageslenkzeit von zusammen 20 Stunden überschritten wird, bewähren sie sich in der Regel betriebswirtschaftlich nicht“, sagt Huster.

Bei speziellen Transportaufgaben gibt es eine doppelte Fahrerbesatzung bereits heute. Ist die Ware auf der Ladefläche besonders wertvoll, fahren oftmals zwei Trucker den Lkw. Grund ist die Sorge vor Überfällen und Diebstahl. Zudem verlangen Versicherungen in derartigen Fällen eine Doppelbesatzung.

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